Grafik

liegender Akt - Studie 3_50

Immer, wenn es im Sommer hierzulande hochsommerlich heiß wird, werden alle Räume unseres Hauses, auch mein Atelier, tagsüber abgedunkelt, um der Hitze zu trotzen. Das ganze Haus fällt für Tage, manchmal sogar Wochen in eine Art Dämmerschlaf. In dieser Zeit, die ein Arbeiten vor der Staffelei eigentlich unmöglich macht, greife ich auf unserer schattigen Veranda zu Skizzenblock, Bleistift, Zeichenkohle, Pastellkreiden und Aquarellfarben.
In meinem Elternhaus war das Zeichnen sozusagen immer die „Königsdisziplin“ gewesen. Man huldigte der Skizze in vielgestaltiger Weise, immer mit dem Ziel, den hoheitlichen Bereich der Grafik möglichst virtuos zu bespielen. Zeichnungen sollten in der Lage sein, wahre Könnerschaft ausdrücken: ein Ziel, das im Grunde genommen der italienischen Renaissance und ihrem Geniekult verpflichtet war, der sogenannten „Sprezzatura“mit einem lässig-leichtem Duktus, dem auch nicht ein Hauch von Anstrengung anhaften durfte (oder noch schlimmer: ein zähes Ringen um oder ein regelrechter Nahkampf mit einem Motiv).
Als Jugendliche war für mich diese angestrebte und teilweise auch erlangte Perfektion im Hause so unerreichbar, dass ich es vorzog, Klavier zu spielen.
knieender Akt - Kohlezeichnung_50Während meines Studiums an der Hochschule wählte ich dann interessanterweise doch den Schwerpunkt Grafik. Mein Mentor im Hauptstudium, Professor Helmut von Arz, selbst Grafiker und Illustrator, nannte mich sogar scherzhaft eine „grafische Kettenraucherin“.
Ich sehe mir selbst beim Zeichnen meist schmerzhaft-kritisch über die Schulter. Zudem erkenne ich für mich die Gefahr einer Redundanz, die darin besteht, dass meine persönliche Maniera irgendwann zu einer reinen Fingerübung verkommen könnte.
Vor ein paar Jahren stellte ich mich mit einigen Aktzeichnungen und ein paar Stillleben-Malereien in einer Galerie vor. Nachdem der Galerist die Arbeiten ausgiebig durch seine Halbbrille beäugt hatte, stellte er mir eine Frage: Ob ich mir klar darüber wäre, wo meine eigentlichen Stärken lägen? Er beantwortete die Frage dann gnädigerweise selbst: Es seien natürlich die Zeichnungen! Für mich bedeutete die Aussage des Galeristen zunächst eine kleine Achterbahnfahrt der Gefühle. Es war so, als ob ich nach einer langen Abenteuerreise voller Risiken, Chancen und Freiheiten in der Malerei-Wildnis wieder in die kleine Souterrain-Wohnung im elterlichen Haus hätte einziehen sollen – scheinbar unsichtbar geführt durch eine Art von internem Kompass, dessen Nadel trotz vielfältiger Bewegungen in ganz unterschiedliche Richtungen doch immer wieder nach Norden zeigt.
Ein Jahr zuvor hatte Dr. Brigitte Quack ein Künstler-Porträt über mich in der Saarbrücker Zeitung mit einer klugen Überschrift versehen: „Malen, um sich abzugrenzen“.
Heute sind die großen Irritationen, die von der Einschätzung des Galeristen ausgelöst wurden, meinem Ehrgeiz gewichen, in der Malerei noch besser zu werden.
Und auch die sommerlichen „Fingerübungen“ im Bereich der Grafik bereiten mir manchmal sogar Vergnügen.