Kiré und Kata: Einflüsse des japanischen Kunstschönen
Japanische Kunst und westliche Ästhetik scheinen auf den ersten Blick grundverschieden, ja sogar unvereinbar zu sein. Während es in der westlichen Kunst seit der Klassischen Moderne darum geht, Emotionen auszudrücken, und, wenn überhaupt Schönheit als „Ausdruck“ oder „Expression“ verstanden werden will, begegnet man in der japanischen Kunst einer anderen Form von Schönheit: Kern dieses ästhetischen Grund-Gefühls ist das „Yūgen“, eine geheimnisvolle Tiefgründigkeit, Unaufdringlichkeit und Stille.
„Yūgen“ ist eng mit der Zen-Buddhistischen Gedankenwelt verbunden. Der Zen-Geist ist bestrebt, Chaos zu vermeiden, denn alles, was nicht nötig oder am Platz seiner Bestimmung ist, wird als Hindernis betrachtet. Auch auf einer Leinwand wird alles Chaotische, Aufdringliche, Überflüssige, Sekundäre und Unwichtige eliminiert, so dass die Figura/Figuration gänzlich aus ihrem natürlichen Kontext gehoben wird. Diese isolierte Figura wird dann zu einer Art von Essenz oder Konzentrat. In diesem Konzentrat darf dann eine geheimnisvolle tiefere Gestalt des Yūgen“ zum Vorschein kommen.
Die zugrundeliegende Technik wird im Japanischen als Kiré bezeichnet. Kire bedeutet übersetzt: „Schnitt“. Durch dieses „Abschneiden von allem Überflüssigen“ erfährt also die Figur eine Art Befreiung.
Um dieses Motiv als Essenz noch zu weiter einzudampfen und dadurch zu steigern, wird in der japanischen Ästhetik noch ein weiterer technisch-künstlerischer Eingriff vorgenommen: der des „Kata“. Kata bedeutet frei übersetzt Verdichtung, auch Stilisierung.
In den japanischen Kano-Schulen, auch in der Rimpa-School verwendet man im Sinne des Kire und Kata sehr häufig einen Goldgrund. Der goldene Hintergrund ist nicht nur eine von allem Überfluss befreite monochrome Fläche. Das Blatt-Gold besitzt darüber hinaus noch eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft: Es absorbiert violette, blaue und grüne Lichtstrahlen, selbst aus den schwächsten Quellen, und reflektiert die Gelb- Orange- und Rot-Anteile des Lichts – und man konnte in den licht-armen japanischen Häusern mit Bildern und Wandschirmen auf Goldgrund bereits vor der elektrischen Glühbirne selbst dunkelste Räume magisch ausleuchten.
Mo Fontaines bevorzugtes Sujet dieser Ausstellung sind Fische, besonders Kois. Bei den Kois handelt es sich um eine besondere Karpfen-Züchtung mit schillernd-plakativen Musterungen auf ihren Fischleibern. Sobald Kois aus geschützten Teichen in die Wildnis von Flüssen und Seen und Bachläufen entlassen werden, werden sie unscheinbar: sprich farblos: Sie verlieren dann ihre individuellen Musterungen und herrlichen Farben. Die Kois sind im Sinne des Kata in Form, Farbe und Rhythmik von der Künstlerin akzentuiert und stilisiert worden.
Das Motiv der Kois sucht man in der traditionellen japanischen Kunst übrigens vergeblich: Die schönen Fische traten erst im 19. Jahrhundert ihren Siegeszug, zunächst durch Japan, an. Kois gelten in der asiatischen Welt als Metaphern für Glück und Reichtum. Sie sind Ausdruck des fließenden Qi, aber auch der Flüchtigkeit allen Seins. Wir Europäer können uns der fremden Magie und Aura dieser Fische kaum entziehen, auch wenn wir uns vielleicht lediglich daran erfreuen, dass sie sich – flüchtigen Kaleidoskop-Bildern gleich – immer neu zu ordnen scheinen.
Auch die Technik des Kiré kommt in ihren Bildern zum Tragen: Die Bildgründe sind monochrom gehalten, so dass alles Sekundäre, Überflüssige abgeschnitten ist und nur das Wesentliche, also eine Art „Koi-Essenz“, in immer neuen Variationen auf der Bildfläche erscheint. Aber Mo Fontaine ist auch dem europäischen Gestaltungskanon verhaftet: der Valeur-, und Emsemble-Malerei, ebenso wie einem expressiven Duktus.
Und wer von Ihnen noch weitere Exponate sehen möchte: Die Galerie Beck zeigt im Monat November in Saarbrücken im Haus der Unternehmerverbände weitere 11 Bilder aus Mo Fontaines Serie „Koimania“.